Assistierte Telemedizin für die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum
Sehr geehrte Damen und Herren,
im zweiten Fachsymposium widmen wir uns dem Thema “Assistierte Telemedizin für die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum”. Ein Weg, den prognostizierten Wegfall von mehreren Tausend Hausarztpraxen in den nächsten Jahren zu kompensieren, könnte die Einrichtung von Stützpunkten und mobilen Lösungen für eine assistierte Telemedizin sein. Insbesondere in ländlichen Regionen mit einer geringen Bevölkerungsdichte und Lücken in der wohnortnahen Versorgung sind Gesundheitsstützpunkte, die von Krankenschwestern und Pflegefachkräften betreut werden und in denen kein Arzt/Ärztin vor Ort ist, eine erfolgversprechende Alternative.
Die digitale Kommunikation kann den persönlichen Kontakt jedoch nur zu einem Teil ersetzen. Daher müssen in der Telemedizin geeignete Methoden gefunden werden, die die eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten kompensieren.
Bereits über 30.000 Ärztinnen/Ärzte führen Videosprechstunden durch. Diese könnten um die Messung von Vitaldaten erweitert werden, so dass ein umfassenderes Bild des Gesundheitszustandes der/s Patientin/Patienten entsteht. Neue Messverfahren und KI-Methoden zur Auswertung der Daten können hier zusätzliche Möglichkeiten schaffen, bspw. Trends und Anomalien frühzeitig zu erkennen.
Eine weitere Herausforderung ist die Integration assistierter, telemedizinischer Prozesse in der Pflege. Diese Prozesse sind sektorübergreifend, dafür müssen geeignete strukturelle Ansätze und insbesondere auch Lösungen für die Vergütung der Leistungen und zur Überwindung der Sektorengrenzen gefunden werden.
2. Symposium: Assistierte Telemedizin für die Versorgung im ländlichen Raum
Es erwarten Sie folgende Referent:innen:
Dr. med. Irmgard Landgraf, Fachärztin für Innere Medizin/Hausärztin, Lehrärztin der Charité Allgemeinmedizin: “Digitale Transformation in der Pflege gestalten”
Andreas Wedeking, Geschäftsführer Verband katholischer Altenhilfe in Deutschland e.V. (VKAD): “Pflegeheimversorgung der Zukunft-Was ist nötig? Was ist möglich?”
Manuela Sander, FB: Besondere Versorgungsformen/ Projektmanagement, Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg: “Digitalisierung in der Arztpraxis”
Prof. Dr. med. Sylvia Thun, Universitätsprofessorin für Digitale Medizin und Interoperabilität, Charité – Universitätsmedizin Berlin: “doc2doc – Universitätsnetzwerk Telemedizin”
Ergebnisprotokoll 2. Fachsymposium Telemedizin „Assistierte Telemedizin für die Versorgung im ländlichen Raum“
Impulsreferat 1: „Pflegeheimversorgung der Zukunft – Was ist nötig? Was ist möglich?“ (Andreas Wedeking, Verband katholischer Altenhilfe in Deutschland e.V. (VKAD))
Herr Wedeking berichtet über die aktuelle Situation in deutschen Altenheimen. So gäbe es im VKAD 1200 Einrichtungen bei 600 Trägern mit insgesamt 80.000 Pflegebetten. Eine telemedizinische Versorgung von (Demenz-)Patient:innen sei nur mit einer zusätzlichen Pflegekraft möglich. Hierbei stünde man allerdings vor zweierlei Problemen: Zum einen bestehe ein massiver Fachkräftemangel. Dieser führe dazu, dass sich das Einzugsgebiet von Hausärzt:innen immer weiter vergrößere und die wenigen Mediziner:innen eine höhere Zahl an Patient:innen zu versorgen habe. Zum anderen steige das Durchschnittsalter der Versorgenden immer weiter an, sodass für die stationäre Versorgung bis 2035 ca. 370.000 Pflegekräfte fehlen würden. Laut Herrn Wedeking müsse die Pflege eigentlich komplett neu gedacht werden. Im 3. Quartal des Jahres 2023 sei die Digitalisierungsstrategie des Bundes zu erwarten, welche die Grundlage für ein bundesweit abgestimmtes Handeln darstelle.
Damit eine Transformation zur Implementierung telemedizinischer Versorgungsformen stattfinden könne, müssen verschiedene Grundvoraussetzungen erfüllt sein:
- Grundausstattung
- Telemedizinische fachliche und technische Standards (einheitlich)
- Digitale/telemedizinische Kompetenzprofile/Curricula
- Bereitstellung sowie (Re-)Finanzierung der Personal- und Sachressourcen der Digitalisierung.
Impulsreferat 2: „Digitale Transformation in der Pflege gestalten: Gelingt uns so die Pflegeheimversorgung der Zukunft?“ (Dr. Irmgard Landgraf, Hausärztin)
Frau Dr. Landgraf berichtet über die Digitalisierung in der sektorenübergreifenden ärztlichen Pflegeheimversorgung. Ebenso wie Herr Wedeking geht Sie auf die immer älter werdende Bevölkerung ein. Ebenso seien Multimorbidität der Patient:innen, Fach- und Pflegekräftemangel sowie begrenzte personelle und finanzielle Ressourcen Herausforderungen, denen man sich im Bereich der Pflege stellen müsse. Sie geht darauf ein, dass Hausärzt:innen mit einer Vielzahl an weiteren Personen(gruppen) im Austausch stünden (bspw. Angehörige, Fachärzt:innen verschiedener Disziplinen, Ämter/Leistungsträger:innen usw.). Um eine umfassende Betreuung der Patient:innen gewährleisten zu können, müsse also eine multiprofessionelle Teamarbeit erfolgen. Dr. Landgraf berichtet über die Nutzung des Dan Touch-Portals für die Pflegeheimversorgung. Diese sorge für eine optimale Vernetzung der verschiedenen Akteur:innen, ohne das ein Vor-Ort-Sein der Ärzt:innen nötig sei. Ebenso führe dies zu einer Verkürzung der Visitenzeit für die Pflegekräfte sowie zu einer Steigerung der Visitenqualität, da Absprachen vorab digital erfolgen können. Voraussetzungen für ein solches Versorgungsmodell seien:
- Nutzung der elektronischen Patientenakte
- Technik (PC-Ausstattung in Heim und Praxis, netzwerkfähige Software)
- Personell (zuverlässige Nutzung, kompetentes/geschultes Pflegepersonal, regelmäßige Fortbildungen).
Als Vorteile der telemedizinischen Versorgungsmöglichkeiten sieht sie vor allem die rasche ärztliche Interventionsmöglichkeit auch ohne Hausbesuch, die einfache hausärztlich-fachärztliche Zusammenarbeit, die Reduktion von Komplikationen/Krankenhauseinweisungen sowie die höhere Lebensqualität für die Bewohnenden. Wichtig sei hierfür die Optimierung der intersektoralen Kommunikation, der sichere und verlustfreie Informationsaustausch sowie eine multiprofessionelle und transparente Teamarbeit.
Außerdem macht sie auf das Projekt CoCare aufmerksam.
Impulsreferat 3: „Digitalisierung in der Arztpraxis“ (Manuela Sander, Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg)
Frau Sander geht in ihrem Impulsvortrag auf die Digitalisierung der Arztpraxen in Brandenburg ein. Sie berichtet über den praxisnahen Informations- und Wissenstransfer, welcher für Praxen und KVBB-Mitarbeitende angeboten wird. Des Weiteren führt sie aus, dass digitale Lösungen vor allem sinnvoll, praktikabel, technisch realisierbar, finanzierbar und datenschutzkonform sein müssten. Zum aktuellen Zeitpunkt arbeiten medizinische Praxen noch mit Konnektoren, welche allerdings in regelmäßigen Abständen ausgetauscht werden müssen; mit einem abgelaufenen Konnektor sei kein Praxisbetrieb mehr möglich. Probleme gebe es beim Konnektortausch vor allem bei den Kosten sowie der Terminfindung für den Tausch. Nach dem Tausch käme es oft zu Problemen wie nicht funktionierenden Modulen (ePA, eAU), nicht funktionierenden Kartenterminals sowie schlecht erreichbaren Services. Zwar gäbe es eine Vielzahl an interessanten Produkten für die Verbesserung des Praxisalltags, jedoch müssten dabei Zeit, Nutzen und Aufwand mitbedacht werden, um eine hohe Anwende-Akzeptanz seitens der Versorgenden zu gewährleisten. Es sei also wichtig, die Probleme zu identifizieren und im Anschluss daran mögliche Lösungen zu entwickeln. Besonders wichtig sei hierbei ein Verständnis für Praxisalltag und -abläufe, die Einbeziehung von Ärzt:innen und medizinischem Fachpersonal in die Entwicklung, die Berücksichtigung bereits bestehender Lösungen sowie die Praktikabilität.
Impulsreferat 4: „Datenaustausch doc2doc – Universitätsnetzwerk Telemedizin“ (Prof. Dr. Sylvia Thun, Berlin Institute of Health at Charité)
In Ihrem Impulsvortrag geht Prof. Thun darauf ein, dass Algorithmen nur so gut sein können, wie die Daten, die sie nutzen. Datennutzung solle daher vor allem fair (findable, accessible, interoperable, reusable) sein. Sie beschreibt Interoperabilität als die Fähigkeit zweier Systeme/Komponenten, Informationen auszutauschen und die ausgetauschten Informationen weiter zu nutzen. Interoperabilität könne demnach die medizinische Versorgung verbessern, indem bspw. durch AI und Big Data eine Validierung der Ergebnisse sichergestellt werden kann. Darüber hinaus verbessere Interoperabilität die Kommunikation und reduziere den Dokumentationsaufwand. Ferner könne durch interoperable Systeme die Verknüpfung von Daten über Organisationen hinweg erfolgen und eine globale Abstimmung im Bereich Public Health stattfinden. Neben dem Einpflegen von Daten in die ePA (durch Ärzt:innen, Pflegende und Therapeut:innen), Fragebögen und PROMS, Telemedizin und -monitoring sieht Prof. Thun vor allem auch Sensorik und Wearables als mögliche Wege, um Real-World-Daten zu erheben. Telemedizin kann laut ihr die Kommunikation von Praktizierenden vereinfachen, beispielsweise im Rahmen von Zweitmeinungsportalen, Videokonferenzen oder Telemonitoring gemeinsamer Patient:innen. Ferner stellt sie verschiedene (Pilot-)Projekte im Bereich Telemedizin vor (bspw. ERIC, telmed5000 sowie TEMPiS). Wichtig sei vor allem, dass eine gemeinsame, interoperable, standardisierte und sichere telemedizinische Infrastruktur geschaffen wird. Dabei müsse darauf geachtet werden, dass die Codierung der Daten „im Hintergrund“ erfolge, sodass die praktizierende Person dies gar nicht mitbekomme. Als Kommunikationsstandard nennt Prof. Thun HL7 FHIR (Fast Healthcare Interoperability Resource). Des Weiteren geht sie auf die Vorteile eines europäischen Gesundheitsdatenraumes ein: Durch Nutzung von Daten aus Apps und Medizinprodukten sowie Gesundheitsdaten aus Registern und der ePA könnten bessere Diagnosen und Behandlungen erfolgen und eine ununterbrochene Versorgung sowie ein effizienteres Gesundheitswesen gewährleistet werden. Sie appelliert an die Teilnehmenden des Symposiums, dass Interoperabilität von Systemen sowie Innovationen im Gesundheitswesen gefördert sowie Health Data Literacy erhöht werden müsse. Des Weiteren plädiert Sie für die Einführung von Opt-Out-Entscheidungen im Gesundheitswesen (wie bei der ePA) sowie die Ermöglichung von Forschungsvorhaben mit Industrie und Pharma.
Offenen und allgemeine Diskussion:
In der Diskussion wird auf MIOs (Medizinische Informationsobjekte) hingewiesen, welche medizinische Daten (z.B. in einer ePA) standardisiert dokumentieren. Im Sinne der Interoperabilität sollten diese für jedes System lesbar und bearbeitbar sein und so einen vereinfachten Datenaustausch zwischen verschiedenen Akteur:innen gewährleisten.
Es wird berichtet, dass die Meytec GmbH deutschlandweit an einer Vielzahl von „Schlaganfall-Projekten“ beteiligt sei, bei denen viele Daten zusammenkämen, die man gerne weitergeben wolle. Bisher würde dem aber keine Beachtung geschenkt werden. Es wird erläutert, dass in Deutschland im internationalen Vergleich nur insgesamt 2,4% der verwendbaren Mittel für IT ausgegeben werden. Der Satz solle aus Sicht der Diskutierenden erhöht werden. Zudem wird ergänzt, dass laut Patientendaten-Schutz-Gesetz Schnittstellen nichts mehr kosten dürfen. Eine Implementierung von digitalen Lösungen müsse aber in den Arztpraxen stattfinden. Hierfür sei es wichtig, dass die Systeme anwenderfreundlich sind, sodass die Praktiker:innen das „System dahinter“ (= Informatik) gar nicht zu Gesicht bekämen.
Hinweise und Fragen zur Veranstaltung(sreihe) richten Sie bitte an: veranstaltung@evermind.de oder info@regionalmanagement.eu